Wie werden zeitliche Faktoren im Tanz analysiert? Wie werden sie notiert? Etablierte Methoden der Bewegungsanalyse und die Praxis der Bewegungsnotation von Tanzschaffenden sollen verglichen werden. Auch die in der Versprachlichung und Benennung von Tanzvermittlern erkennbaren Konzepte und Begriffe von Zeit und Dynamik im Tanz interessieren mich.
In der Bewegungsanalyse Rudolf von Labans beschreibt der Zeitantrieb in seiner Polarität zwischen beschleunigen und verlangsamen besonders zeitliche Veränderung in der Bewegung. Die Kategorie der Phrasierung differenziert in der Bewegungsanalyse den Verlauf hinsichtlich ihrer Betonungen und Akzente. Auch in den Flussantrieben (gebundener und freier Fluss) werden Bewegungsdynamiken (beschleunigte oder gleichförmige Bewegung), die sich aus unterschiedlicher Körperspannung ergeben, indirekt untersucht. Die Gewichtsantriebe leicht und kraftvoll beschreiben die differenzierten dynamischen Abweichungen durch unterschiedlichen Krafteinsatz in der Bewegung.
Judith Kestenberg, Kinderpsychiaterin und Schülerin der Laban-Schülerin Irmgard Bartenieff, ergänzte die Analyse des Labanschen Systems durch die Differenzierung rhythmischer Musterbildungen. Die einzelnen Rhythmen, die sie bei Kleinkindern und deren Interaktion mit ihren Eltern beobachtete, fasste sie vor dem Hinter-grund der psychoanalytischen Theorie Anna Freuds zu einem eigenen entwicklungspsycho-logischen Konzept zusammen, dem Kestenberg Movement Profile KMP.
Jenseits der weit verbreiteten Anwendung in der tanztherapeutischen Praxis ist die Möglichkeit einer dynamischen Differenzierung von zeitlichen Abläufen in der künstlerischen Praxis bisher kaum rezipiert. Die zentrale Bedeutung des zeitlichen Bewegungsverlaufs ist auch in Kestenbergs Analysemethode deutlich erkennbar. Sie nutzt eine Art Mitschrift der Bewegungsdynamik auf einer horizontalen Linie zur späteren Analyse der einzelnen Kategorien. Inwieweit sind diese in ihrem Kontext entstandenen Methoden und Begriffe aktuell nutzbar und welche zeitgenössischen Begrifflichkeiten gibt es (übereinstimmend, ergänzend, ohne Passung)? Welche Notationen und Analyseparameter von Zeit finden sich in heutiger künstlerischer Praxis und welche impliziten Theorien liegen diesen zugrunde?
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